Donnerstag, 30. August bis Donnerstag, 6. September
Mamallapuram - das war jetzt nötig, nach dem Gewusel in Chennai. Hier lässt es sich aushalten. Mamallapuram ist klein, liegt am Meer und fünf ist hier per Definition eine gerade Zahl. Das Touristenghetto bietet alles, was das Herz begehrt: Tinneff, Klamotten, Pizza und Bier. Und gutes Essen, zum Beispiel im Gecko's.
Gerade an dem Tag, an dem ich ankam, begann eine hinduistische Festivität, die durch ohrenbetäubend laute Musik gekennzeichnet ist. Im Stadtkern plärrte aus riesigen, trötenförmigen Lautsprechern von morgens um sechs bis abends um neun indische Chaosmusik. Ich wollte erst in ein Guesthouse einziehen, das genau im Zentrum lag, aber dort war es einfach zu laut. Eine bis zwei Straßen weiter ließ es sich dann ganz gut aushalten.
Das Fest dauert vier Tage und an die sage und schreibe 15 Stunden Druckbeschallung pro Tag wurde sich auch nicht wirklich gehalten. Feuerwerk und weitere Musik folgte meist nach neun Uhr abends. Früher dauerte das Fest ganze zehn Tage am Stück, aber wegen des Tourismus wurde es auf vier Tage gekürzt.
Als ich mich bei Anamalai ("großer Berg") - einem Schneider - über Dauer und Lautstärke lustig gemacht habe, war er gleich ziemlich beleidigt. Um ein bisschen zurückzurudern, brüllte ich gegen den Lärm an: "Ich habe nix gegen die Musik, ABER DIESE LAUTSTÄRKE!" "This is culturally VERY IMPORTANT for us!" schrie er - glaube ich zumindest - zurück in mein Ohr.
Anamalai und Rajan, der Steinmetz, waren mir in der Woche, die ich in Mamallapuram verbracht habe, ziemlich gute Freunde geworden. Besonders bei Rajan habe ich ständig vorm Laden gesessen und mit ihm gequatscht. Er hat mich auch zu einer Verlobungsfeier nach Kondangi mitgenommen, was ziemlich irre war.
Zuallererst wurde ich dem künftigen Bräutigam vorgestellt und ich fragte ihn grinsend, ob er aufgeregt sei. Hier wird früh geheiratet, das Milchgesicht war maximal 20 Jahre alt, würde ich sagen. "Yes!!!" war seine Antwort, und das war noch untertrieben. Er sah aus, als hätte er die Hosen schon stundenlang gestrichen voll. Dann wurde ich einigen Anderen vorgestellt und es wollte natürlich jeder zweite ein Foto mit mir machen. Und bei alten Männern muss man vorsichtig sein, dass sie einen beim Umarmen nicht zerquetschen. Jüngere Semester haben das Umarmen aber scheinbar abgelegt.
Die Verlobung selbst war ziemlich seltsam. Erst saßen sich ältere Männer in zwei Reihen auf dem Boden gegenüber - und Frauen in einem anderen Raum. Sie diskutierten und motzten und gestikulierten ernst. Was ist hier los? Wo ist eigentlich Rajan? Keiner konnte mir erklären, worum es gerade ging. Wurde hier vielleicht sowas wie ein Brautpreis ausgehandelt? Familie gegen Familie? Irgendwann habe ich aufgehört zu fragen. Ist ja auch egal, dachte ich, dann bleibt es halt schön mysteriös.
Dann stand sich das zukünftige Brautpaar völlig aufgeregt und aufgelöst gegenüber, tauschte Blumenkränze aus und krönte das ganze mit dem Tausch von Ringen. Beide bekamen noch eine Goldkette und das war es dann auch schon.
Später gab es was zu Essen: jeder bekam ein blaues Blatt eingefettetes Papier als Teller vor sich gelegt und das Essen wurde aus Eimern draufgeklatscht. Und wow!, es war richtig lecker! Außerdem glaube ich langsam, dass Essen ohne Besteck einfach geschmackvoller ist. Vielleicht versaut der Metallgeschmack von Löffel und Gabel so einiges? Es gab gelben Gemüsereis, Zwiebelsalat und eine ölige Pampe, die etwas scharf war und vielleicht unter anderem aus Auberginen bestand. Dann noch künstlich grünes Glibberzeug und eine Banane zum Dessert. Ich saß in der Küche auf dem Boden, und spachtelte was das Zeug hielt. Die meisten saßen draußen an Tischen, aber ich war erst zu unentschlossen und musste mich dann mit dem Fußboden abgeben. Auch gut, das war bestimmt authentischer!
Irgendwann tauchte Rajan wieder auf und er sagte, dass er gesehen hat, wie gut ich mich mit den ganzen Leuten unterhalten würde. Er hätte dabei nur gestört. Das war ein feiner Zug von ihm. Ich wette, ich hätte ihm nur am Rockzipfel gehangen und so kaum Kontakt zu anderen Leuten aufgenommen. Aber mir kam der Verdacht, dass er einfach nur fernab des ganzen Trubels in Ruhe einen Joint durchziehen wollte. Keine Ahnung.
Auf der Hinfahrt hatten wir schon je eins von diesen riesigen Bieren gekillt und auf der Rückfahrt stoppte er das Moped nochmal an einer lokalen Bierbude. Total verlottert und mit Gitterstäben gesichert auf einem zentralen Platz in einem Kaff, das zu neunzig Prozent aus Schlaglöchern bestand. Drum herum standen und hockten Leute, die Bier und Brandy tranken, genüsslich Rotz hochgurgelten und überall hinspuckten. Es war ja schließlich Sonntag. So gegen fünf Uhr nachmittags.
Wer jetzt sagt: "Diese Asiaten, das sind doch alles Dreckschweine! Überall Müll, rülpsen und spucken, schimmelige Matratzen und die wischen sich den Arsch auch noch mit den Händen ab!", dem kann ich nur sagen, dass das einfach eine andere Kultur als die Unsrige ist. Wer anfängt zu vergleichen - z. B. Deutschland mit Indien -, der hat schon verloren. Da gibt es nichts zu vergleichen, zumindest nicht mit anschließender Wertung. Es ist nunmal anders und das alles ist hier stinknormal, sonst würde man es ja hier nicht ständig erleben. In Europa sieht man heutzutage kaum noch Leute mit von Lepra verstümmelten Händen - mit halben oder ganz ohne Finger. Oder anders herum Menschen, die zwei Daumen an jeder Hand haben. Aber geht mal 100 Jahre zurück, da war sowas auch bei uns noch alltäglicher. Und die hygienischen Zustände waren irgendwann auch mal ähnlich.
Am Mittwoch abend hat mich Rajan dann zu seiner Familie zum Essen eingeladen. Auch das war wieder großartig. Aber sein Haus ist quasi seit fünf Jahren ein Rohbau und er lebt mit seiner Mutter darin. Seine Frau hat ihn mit den beiden Kindern verlassen., denn er soll erstmal das Haus fertigbauen. Als ich meinte: "Vergiss sie, ihr müsst doch auch in den schlechten Zeiten zusammenhalten können! Such dir ne andere!", da sagte er nur, dass sowas nicht geht in Indien. Einmal verheiratet, wird man nie wieder eine andere heiraten können. Und heiraten muss man ja, sonst kann man nicht ... ihr wisst schon. :-)
Auch das klingt nach Steinzeit, aber diese Steinzeit ist bei uns erst seit maximal 40 Jahren vorbei.
Der Strand in Mamallapuram ist leider nicht der Rede Wert. Ich war nicht einmal im Wasser, aber es gibt noch einige Tempelanlagen zu besichtigen. Die fünf Rathas zum Beispiel sind Tempel, die aus jeweils einem Felsblock herausgehämmert wurden. Und besonders sehenswert ist die Ecke um Krishna's Butterball herum. Eine kleine Felslandschaft mit verschiedenen, versteckten Tempeln, die man über verschlungene Wege erreicht. Man schlendert ahnungslos durch Bäume und Gestrüpp und Zack! taucht völlig unerwartet wieder ein neuer Tempel auf.
Abends in der Jamaica Bar habe ich noch einen ziemlich verrückten Holländer kennengelernt - ziemlich aggressives Temperament, aber irgendwie auch ein Original. Und er macht eine sehr gute Bolognesesoße. Er verdient sein Geld aber lieber mit dem Schmuggel von Diamanten, Gold und anderen Sachen in kleiner Stückzahl. Nie mehr, als man offen am Körper tragen kann. Als ich dann auf diesen Artikel gestoßen bin, wusste ich plötzlich, warum er so durchgedreht rüberkommt und bin ihm dann natürlich aus dem Weg gegangen. Der schläft sicherlich keine Nacht mehr durch, und das sieht man ihm wirklich an.
Mamallapuram - das war jetzt nötig, nach dem Gewusel in Chennai. Hier lässt es sich aushalten. Mamallapuram ist klein, liegt am Meer und fünf ist hier per Definition eine gerade Zahl. Das Touristenghetto bietet alles, was das Herz begehrt: Tinneff, Klamotten, Pizza und Bier. Und gutes Essen, zum Beispiel im Gecko's.
Krishna's Butterball |
Gerade an dem Tag, an dem ich ankam, begann eine hinduistische Festivität, die durch ohrenbetäubend laute Musik gekennzeichnet ist. Im Stadtkern plärrte aus riesigen, trötenförmigen Lautsprechern von morgens um sechs bis abends um neun indische Chaosmusik. Ich wollte erst in ein Guesthouse einziehen, das genau im Zentrum lag, aber dort war es einfach zu laut. Eine bis zwei Straßen weiter ließ es sich dann ganz gut aushalten.
Das Fest dauert vier Tage und an die sage und schreibe 15 Stunden Druckbeschallung pro Tag wurde sich auch nicht wirklich gehalten. Feuerwerk und weitere Musik folgte meist nach neun Uhr abends. Früher dauerte das Fest ganze zehn Tage am Stück, aber wegen des Tourismus wurde es auf vier Tage gekürzt.
Als ich mich bei Anamalai ("großer Berg") - einem Schneider - über Dauer und Lautstärke lustig gemacht habe, war er gleich ziemlich beleidigt. Um ein bisschen zurückzurudern, brüllte ich gegen den Lärm an: "Ich habe nix gegen die Musik, ABER DIESE LAUTSTÄRKE!" "This is culturally VERY IMPORTANT for us!" schrie er - glaube ich zumindest - zurück in mein Ohr.
beim Butterball |
beim Butterball |
Anamalai und Rajan, der Steinmetz, waren mir in der Woche, die ich in Mamallapuram verbracht habe, ziemlich gute Freunde geworden. Besonders bei Rajan habe ich ständig vorm Laden gesessen und mit ihm gequatscht. Er hat mich auch zu einer Verlobungsfeier nach Kondangi mitgenommen, was ziemlich irre war.
ein paar von Rajans Stücken |
Zuallererst wurde ich dem künftigen Bräutigam vorgestellt und ich fragte ihn grinsend, ob er aufgeregt sei. Hier wird früh geheiratet, das Milchgesicht war maximal 20 Jahre alt, würde ich sagen. "Yes!!!" war seine Antwort, und das war noch untertrieben. Er sah aus, als hätte er die Hosen schon stundenlang gestrichen voll. Dann wurde ich einigen Anderen vorgestellt und es wollte natürlich jeder zweite ein Foto mit mir machen. Und bei alten Männern muss man vorsichtig sein, dass sie einen beim Umarmen nicht zerquetschen. Jüngere Semester haben das Umarmen aber scheinbar abgelegt.
Achtung beim Umarmen! |
Die Verlobung selbst war ziemlich seltsam. Erst saßen sich ältere Männer in zwei Reihen auf dem Boden gegenüber - und Frauen in einem anderen Raum. Sie diskutierten und motzten und gestikulierten ernst. Was ist hier los? Wo ist eigentlich Rajan? Keiner konnte mir erklären, worum es gerade ging. Wurde hier vielleicht sowas wie ein Brautpreis ausgehandelt? Familie gegen Familie? Irgendwann habe ich aufgehört zu fragen. Ist ja auch egal, dachte ich, dann bleibt es halt schön mysteriös.
Dann stand sich das zukünftige Brautpaar völlig aufgeregt und aufgelöst gegenüber, tauschte Blumenkränze aus und krönte das ganze mit dem Tausch von Ringen. Beide bekamen noch eine Goldkette und das war es dann auch schon.
das Pärchen |
Später gab es was zu Essen: jeder bekam ein blaues Blatt eingefettetes Papier als Teller vor sich gelegt und das Essen wurde aus Eimern draufgeklatscht. Und wow!, es war richtig lecker! Außerdem glaube ich langsam, dass Essen ohne Besteck einfach geschmackvoller ist. Vielleicht versaut der Metallgeschmack von Löffel und Gabel so einiges? Es gab gelben Gemüsereis, Zwiebelsalat und eine ölige Pampe, die etwas scharf war und vielleicht unter anderem aus Auberginen bestand. Dann noch künstlich grünes Glibberzeug und eine Banane zum Dessert. Ich saß in der Küche auf dem Boden, und spachtelte was das Zeug hielt. Die meisten saßen draußen an Tischen, aber ich war erst zu unentschlossen und musste mich dann mit dem Fußboden abgeben. Auch gut, das war bestimmt authentischer!
reinhauen! |
Irgendwann tauchte Rajan wieder auf und er sagte, dass er gesehen hat, wie gut ich mich mit den ganzen Leuten unterhalten würde. Er hätte dabei nur gestört. Das war ein feiner Zug von ihm. Ich wette, ich hätte ihm nur am Rockzipfel gehangen und so kaum Kontakt zu anderen Leuten aufgenommen. Aber mir kam der Verdacht, dass er einfach nur fernab des ganzen Trubels in Ruhe einen Joint durchziehen wollte. Keine Ahnung.
Rajan links |
Auf der Hinfahrt hatten wir schon je eins von diesen riesigen Bieren gekillt und auf der Rückfahrt stoppte er das Moped nochmal an einer lokalen Bierbude. Total verlottert und mit Gitterstäben gesichert auf einem zentralen Platz in einem Kaff, das zu neunzig Prozent aus Schlaglöchern bestand. Drum herum standen und hockten Leute, die Bier und Brandy tranken, genüsslich Rotz hochgurgelten und überall hinspuckten. Es war ja schließlich Sonntag. So gegen fünf Uhr nachmittags.
Wer jetzt sagt: "Diese Asiaten, das sind doch alles Dreckschweine! Überall Müll, rülpsen und spucken, schimmelige Matratzen und die wischen sich den Arsch auch noch mit den Händen ab!", dem kann ich nur sagen, dass das einfach eine andere Kultur als die Unsrige ist. Wer anfängt zu vergleichen - z. B. Deutschland mit Indien -, der hat schon verloren. Da gibt es nichts zu vergleichen, zumindest nicht mit anschließender Wertung. Es ist nunmal anders und das alles ist hier stinknormal, sonst würde man es ja hier nicht ständig erleben. In Europa sieht man heutzutage kaum noch Leute mit von Lepra verstümmelten Händen - mit halben oder ganz ohne Finger. Oder anders herum Menschen, die zwei Daumen an jeder Hand haben. Aber geht mal 100 Jahre zurück, da war sowas auch bei uns noch alltäglicher. Und die hygienischen Zustände waren irgendwann auch mal ähnlich.
Hygiene auf dem Fischmarkt |
Am Mittwoch abend hat mich Rajan dann zu seiner Familie zum Essen eingeladen. Auch das war wieder großartig. Aber sein Haus ist quasi seit fünf Jahren ein Rohbau und er lebt mit seiner Mutter darin. Seine Frau hat ihn mit den beiden Kindern verlassen., denn er soll erstmal das Haus fertigbauen. Als ich meinte: "Vergiss sie, ihr müsst doch auch in den schlechten Zeiten zusammenhalten können! Such dir ne andere!", da sagte er nur, dass sowas nicht geht in Indien. Einmal verheiratet, wird man nie wieder eine andere heiraten können. Und heiraten muss man ja, sonst kann man nicht ... ihr wisst schon. :-)
Auch das klingt nach Steinzeit, aber diese Steinzeit ist bei uns erst seit maximal 40 Jahren vorbei.
Rollator deluxe? |
Der Strand in Mamallapuram ist leider nicht der Rede Wert. Ich war nicht einmal im Wasser, aber es gibt noch einige Tempelanlagen zu besichtigen. Die fünf Rathas zum Beispiel sind Tempel, die aus jeweils einem Felsblock herausgehämmert wurden. Und besonders sehenswert ist die Ecke um Krishna's Butterball herum. Eine kleine Felslandschaft mit verschiedenen, versteckten Tempeln, die man über verschlungene Wege erreicht. Man schlendert ahnungslos durch Bäume und Gestrüpp und Zack! taucht völlig unerwartet wieder ein neuer Tempel auf.
Five Rathas |
Shore Temple |
Abends in der Jamaica Bar habe ich noch einen ziemlich verrückten Holländer kennengelernt - ziemlich aggressives Temperament, aber irgendwie auch ein Original. Und er macht eine sehr gute Bolognesesoße. Er verdient sein Geld aber lieber mit dem Schmuggel von Diamanten, Gold und anderen Sachen in kleiner Stückzahl. Nie mehr, als man offen am Körper tragen kann. Als ich dann auf diesen Artikel gestoßen bin, wusste ich plötzlich, warum er so durchgedreht rüberkommt und bin ihm dann natürlich aus dem Weg gegangen. Der schläft sicherlich keine Nacht mehr durch, und das sieht man ihm wirklich an.
auf der Karre vom Holländer |
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