Donnerstag, 6. September bis Sonntag, 9. September
Warum ich es in Madurai freiwillig länger als nötig ausgehalten habe, kann ich im Nachhinein nicht mehr rekapitulieren. Ich habe mir die riesige Tempelanlage ansehen wollen, deshalb war ich hier. Und das war auch schon alles. Natürlich kam etwas dazwischen, aber ich hätte auch schon am Samstag wieder aufbrechen können.
Bin ich etwa schon reisefaul geworden? Kann das sein? Kurz nachgedacht, glaube ich, ich war schon immer reisefaul. Also das eigentliche Orte-wechseln - dem stehe ich nicht so aufgeschlossen gegenüber... Es ist meistens ein Krampf: Sachen packen, Busfahrt, Hotel suchen. Mein Krampf.
Mit dem Zug ging es von Changgalpattu (bei Mamallapuram) nach Madurai. Inklusive Anfahrt von Mamallapuram per Bus war ich locker 8 oder 9 Stunden auf Achse. Aber Zug fahren werde ich wohl so schnell nicht wieder. Nicht weil es total übel gewesen wäre. Nein, es war ganz ok. Nur muss man hier in Indien früh vorbuchen, um einen Platz zu kriegen. Und da ich eher planlos unterwegs bin, beißt sich das nunmal.
Gleich am Freitag habe ich mir den Sri Meenakshi Tempel angesehen. Erstmal kam ich nicht rein, weil ich einen Lunghi anhatte, und keinen Dhoti! Lunghi ist bunt, Dhoti ist weiß - das Ding, das Gandhi immer anhatte. Also musste ich mir erstmal um die Ecke einen Dhoti zulegen.
Im Tempel dann der Wahnsinn! Von außen war ja schon einiges zu sehen, aber drin war echt streckenweise die Hölle los. Leute, die was rezitieren oder vorbeten, Anhänger, die es nachsprechen. Ein Steinkalb, das mit Butter beworfen wird. Shiva (?) wird von den Pilgern mit roter Farbe angemalt. Überall stehen sakrale Dinge herum, die es gilt anzubeten.
Alle machten seltsame Verbeugungen und Ehrenbezeigungen an jeder möglichen Devotionalie. Zum Beispiel fasste der eine sich mit den Händen über kreuz an die Ohrläppchen und machte drei/vier schnelle Minikniebeugen. Ich grinste, denn das sah ein wenig nach Augsburger Puppenkiste aus. Über eine goldbeschlagene Stufe streift man mit dem nackten Fuß oder berührt erst die Stufe mit den Fingerspitzen und dann damit Schultern und Stirn. Manche knien sich vor Ganesha hin, andere legen sich komplett flach ausgestreckt auf den Boden. Die nächste Statue wird mehrmals umrundet. Und so weiter.
Der innere Teil des Tempels ist für nicht-Hindus tabu. "Oder bist du etwa Hindu?" fragte mich ein rundlicher Torwächter. "Neeeee..." lächelte ich. Mist, Mist, Mist!, dachte ich später. Das bisschen Spontaneität hätte ich da nun wirklich abliefern können! Ein "Ja, natürlich bin ich Hindu! Sieht man das etwa nicht?" statt einem schnöden "Nee" war eigentlich nicht zuviel verlangt. Aber vielleicht haben sich Respekt und Überwältigung die Klinke in die Hand gegeben und die Dreistigkeit weggesperrt. Tja, eventuell hätte es ja hingehauen. Was es da drin wohl noch verrückteres zu sehen gegeben hätte?
Es war insgesamt total genial, aber auch ziemlich verstörend. Die Hindus lösen sich hier völlig in ihrer Religion auf. Der ganze Prunk, die Rituale, das ist schon beeindruckend und zumindest glaubt man mitzukriegen, wie tief das ganze doch in der Gesellschaft verankert sein muss.
Nach dem Tempel musste ich mich dann mal um deutlich weltlichere Belange kümmern: meine Telefonkarte war gesperrt worden! Ich hatte schon am Vortag zwei SMS bekommen, dass mein Visum abgelaufen sei und deshalb die Karte bald gesperrt würde. Das war natürlich Quatsch und ich befragte diverse Hotlines und SIM-Karten-Onkels. Kein Problem, da passiert nix, versicherte man mir immer wieder. Tja, Pustekuchen, jetzt war ich offline. Ein Internet-Junkie ohne Netz und einem doppelten Boden der aus verschwitzen Internet Cafés mit unmöglichen Öffnungszeiten besteht... Das kann doch nix werden! Im Vodafone-Shop habe ich dann rausbekommen, was eigentlich los war: das Ablaufdatum des Visums wurde mit dem Einreisedatum verwechselt. "Kriegen wir hin. Dauert zirka vier Stunden." sagte Mr Karuppasamy, machte eine erneute Kopie meines Reisepasses und mailte sie an irgendsoeinen zuständigen Michael Rush. Heute, mittlerweile in einer anderen Stadt und nach vier Tagen und fünf Hotlines bei denen keiner rangeht, war ich es endgültig leid und habe mir eine neue Karte - diesmal aber nicht von Vodafone - gekauft. Mal sehen, wie lang deren Halbwertzeit ist.
Das ganze Hick-Hack war auch der Grund, warum ich noch länger in Madurai geblieben bin. Madurai ist einer dieser schrecklichen, indischen Verkehrsknotenpunkte. Lärm, Smog und Straßendreck prägen das Stadtbild.
Abends war ich in einer Rooftop-Bar mit guter Aussicht und machte mich über die ersten Seiten von Charles Dickens "David Copperfield" her. Er beschrieb gerade, wie er seine ganz frühe Kindheit in einem Haus mit schönem Garten verlebte... da schweifte ich auch schon ab, zum Haus meiner Großmutter und mir fielen die ganzen dortigen Kindheitserlebnisse wieder siedendheiß ein. Am nächsten Tag habe ich dann angefangen, eifrig meine Erinnerungen "bei Oma Martha" aufzuschreiben. Mal sehen, vielleicht wird ja was draus. Vielleicht finde ich ja Worte, die warm genug sind dafür. Mal ohne Kodderschnauze...
Am Samstag war ich im Gandhi Memorial Museum. Ich glaube ich werde alt, denn ich fand es echt gut. Es besteht aus 30 Tafeln, auf der die Befreihung Indiens von den Briten nachzulesen war und ein paar anderen Schautafeln, Fotos und Gegenständen. Und sein verblichen-blutbefleckter Dhoti, den er beim Attentat anhatte, ist auch ausgestellt. Das war schon bewegend, davor zu stehen. Zum Glück lag er unter einem Glaskasten, sonst hätte bestimmt wieder irgendein Ballermanntourist daran rumgefummelt oder sich das Ding angezogen und damit für die Kamera seiner hirnverbrannten Mitreisenden posiert.
Oh, ach ja! Kleiner Nachtrag zu Mamallapuram bzw. Chennai. Irgendwo habe ich mir "das hier" zugezogen. Beide Beine ab Knie und rechter Unterarm. Einer sagte, es seinen Mückenstiche. Ich dachte: Bettwanzen. Der nächste: Hitzpickel. Ich dachte: die Krätze! Der verrückte Holländer war auch schwer betroffen und sagte, das kommt vom Kratzen, damit schiebt man sich den Dreck aus dem Leitungswasser unter die die Haut. Jetzt, gute zwei Wochen später ist fast nix mehr davon zu sehen. Das Kratzen habe ich mir jetzt abgewöhnt. Seine Theorie klang noch am plausibelsten. Bäh!
Sonntag wollte ich dann nach Kovallam weiter, bin aber in der Stadt mit dem einprägsamem Namen Thiruvananthapuram hängen geblieben. Dazu aber später mehr auf dieser Frequenz.
Warum ich es in Madurai freiwillig länger als nötig ausgehalten habe, kann ich im Nachhinein nicht mehr rekapitulieren. Ich habe mir die riesige Tempelanlage ansehen wollen, deshalb war ich hier. Und das war auch schon alles. Natürlich kam etwas dazwischen, aber ich hätte auch schon am Samstag wieder aufbrechen können.
Vogelperspektive |
Bin ich etwa schon reisefaul geworden? Kann das sein? Kurz nachgedacht, glaube ich, ich war schon immer reisefaul. Also das eigentliche Orte-wechseln - dem stehe ich nicht so aufgeschlossen gegenüber... Es ist meistens ein Krampf: Sachen packen, Busfahrt, Hotel suchen. Mein Krampf.
was für 'ne Mischung - James Joyce und Atze - Arrrgghh! |
Mit dem Zug ging es von Changgalpattu (bei Mamallapuram) nach Madurai. Inklusive Anfahrt von Mamallapuram per Bus war ich locker 8 oder 9 Stunden auf Achse. Aber Zug fahren werde ich wohl so schnell nicht wieder. Nicht weil es total übel gewesen wäre. Nein, es war ganz ok. Nur muss man hier in Indien früh vorbuchen, um einen Platz zu kriegen. Und da ich eher planlos unterwegs bin, beißt sich das nunmal.
Streetlife |
Gleich am Freitag habe ich mir den Sri Meenakshi Tempel angesehen. Erstmal kam ich nicht rein, weil ich einen Lunghi anhatte, und keinen Dhoti! Lunghi ist bunt, Dhoti ist weiß - das Ding, das Gandhi immer anhatte. Also musste ich mir erstmal um die Ecke einen Dhoti zulegen.
Tempelanlage aus der Ferne |
draußen vor dem Tore |
Im Tempel dann der Wahnsinn! Von außen war ja schon einiges zu sehen, aber drin war echt streckenweise die Hölle los. Leute, die was rezitieren oder vorbeten, Anhänger, die es nachsprechen. Ein Steinkalb, das mit Butter beworfen wird. Shiva (?) wird von den Pilgern mit roter Farbe angemalt. Überall stehen sakrale Dinge herum, die es gilt anzubeten.
Prunk! |
Vorbeter (Video)
Alle machten seltsame Verbeugungen und Ehrenbezeigungen an jeder möglichen Devotionalie. Zum Beispiel fasste der eine sich mit den Händen über kreuz an die Ohrläppchen und machte drei/vier schnelle Minikniebeugen. Ich grinste, denn das sah ein wenig nach Augsburger Puppenkiste aus. Über eine goldbeschlagene Stufe streift man mit dem nackten Fuß oder berührt erst die Stufe mit den Fingerspitzen und dann damit Schultern und Stirn. Manche knien sich vor Ganesha hin, andere legen sich komplett flach ausgestreckt auf den Boden. Die nächste Statue wird mehrmals umrundet. Und so weiter.
winziger Ausschnitt aus den Gesamtkunstwerken |
cool Hindu |
Der innere Teil des Tempels ist für nicht-Hindus tabu. "Oder bist du etwa Hindu?" fragte mich ein rundlicher Torwächter. "Neeeee..." lächelte ich. Mist, Mist, Mist!, dachte ich später. Das bisschen Spontaneität hätte ich da nun wirklich abliefern können! Ein "Ja, natürlich bin ich Hindu! Sieht man das etwa nicht?" statt einem schnöden "Nee" war eigentlich nicht zuviel verlangt. Aber vielleicht haben sich Respekt und Überwältigung die Klinke in die Hand gegeben und die Dreistigkeit weggesperrt. Tja, eventuell hätte es ja hingehauen. Was es da drin wohl noch verrückteres zu sehen gegeben hätte?
1000-Säulen-Halle |
East-Gate oder South-Gate, oder doch West-Gate? |
Es war insgesamt total genial, aber auch ziemlich verstörend. Die Hindus lösen sich hier völlig in ihrer Religion auf. Der ganze Prunk, die Rituale, das ist schon beeindruckend und zumindest glaubt man mitzukriegen, wie tief das ganze doch in der Gesellschaft verankert sein muss.
das Butterkalb wird saubergeschrubbt |
nicht kleckern... klotzen! |
Nach dem Tempel musste ich mich dann mal um deutlich weltlichere Belange kümmern: meine Telefonkarte war gesperrt worden! Ich hatte schon am Vortag zwei SMS bekommen, dass mein Visum abgelaufen sei und deshalb die Karte bald gesperrt würde. Das war natürlich Quatsch und ich befragte diverse Hotlines und SIM-Karten-Onkels. Kein Problem, da passiert nix, versicherte man mir immer wieder. Tja, Pustekuchen, jetzt war ich offline. Ein Internet-Junkie ohne Netz und einem doppelten Boden der aus verschwitzen Internet Cafés mit unmöglichen Öffnungszeiten besteht... Das kann doch nix werden! Im Vodafone-Shop habe ich dann rausbekommen, was eigentlich los war: das Ablaufdatum des Visums wurde mit dem Einreisedatum verwechselt. "Kriegen wir hin. Dauert zirka vier Stunden." sagte Mr Karuppasamy, machte eine erneute Kopie meines Reisepasses und mailte sie an irgendsoeinen zuständigen Michael Rush. Heute, mittlerweile in einer anderen Stadt und nach vier Tagen und fünf Hotlines bei denen keiner rangeht, war ich es endgültig leid und habe mir eine neue Karte - diesmal aber nicht von Vodafone - gekauft. Mal sehen, wie lang deren Halbwertzeit ist.
Madurai |
Das ganze Hick-Hack war auch der Grund, warum ich noch länger in Madurai geblieben bin. Madurai ist einer dieser schrecklichen, indischen Verkehrsknotenpunkte. Lärm, Smog und Straßendreck prägen das Stadtbild.
Trashtown Madurai |
Abends war ich in einer Rooftop-Bar mit guter Aussicht und machte mich über die ersten Seiten von Charles Dickens "David Copperfield" her. Er beschrieb gerade, wie er seine ganz frühe Kindheit in einem Haus mit schönem Garten verlebte... da schweifte ich auch schon ab, zum Haus meiner Großmutter und mir fielen die ganzen dortigen Kindheitserlebnisse wieder siedendheiß ein. Am nächsten Tag habe ich dann angefangen, eifrig meine Erinnerungen "bei Oma Martha" aufzuschreiben. Mal sehen, vielleicht wird ja was draus. Vielleicht finde ich ja Worte, die warm genug sind dafür. Mal ohne Kodderschnauze...
Lightning and Temple complex at night |
Am Samstag war ich im Gandhi Memorial Museum. Ich glaube ich werde alt, denn ich fand es echt gut. Es besteht aus 30 Tafeln, auf der die Befreihung Indiens von den Briten nachzulesen war und ein paar anderen Schautafeln, Fotos und Gegenständen. Und sein verblichen-blutbefleckter Dhoti, den er beim Attentat anhatte, ist auch ausgestellt. Das war schon bewegend, davor zu stehen. Zum Glück lag er unter einem Glaskasten, sonst hätte bestimmt wieder irgendein Ballermanntourist daran rumgefummelt oder sich das Ding angezogen und damit für die Kamera seiner hirnverbrannten Mitreisenden posiert.
Indien in Sklaverei unter den Briten |
sein letzter Dhoti |
vorm Gandhi Memorial Museum |
aufwachen! ich will zurück :) |
Oh, ach ja! Kleiner Nachtrag zu Mamallapuram bzw. Chennai. Irgendwo habe ich mir "das hier" zugezogen. Beide Beine ab Knie und rechter Unterarm. Einer sagte, es seinen Mückenstiche. Ich dachte: Bettwanzen. Der nächste: Hitzpickel. Ich dachte: die Krätze! Der verrückte Holländer war auch schwer betroffen und sagte, das kommt vom Kratzen, damit schiebt man sich den Dreck aus dem Leitungswasser unter die die Haut. Jetzt, gute zwei Wochen später ist fast nix mehr davon zu sehen. Das Kratzen habe ich mir jetzt abgewöhnt. Seine Theorie klang noch am plausibelsten. Bäh!
Krätze-Luigi |
Sonntag wollte ich dann nach Kovallam weiter, bin aber in der Stadt mit dem einprägsamem Namen Thiruvananthapuram hängen geblieben. Dazu aber später mehr auf dieser Frequenz.
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