Sonntag, 18. November 2012

Varanasi

Dienstag, 23. bis Sonntag 28. Oktober 2012

Ich hatte ja gehört, dass man hier in Varanasi ständig verarscht wird, aber das ging mir dann doch zu schnell. Der Taxifahrer, der mich vom Flughafen zum Ganges bringen sollte, hatte wohl keine Lust mehr, weiterzufahren. Er schmiss mich raus und sagte: "Hier geht es nicht weiter. Noch 200 Meter, diese Richtung." Als ich dann nach 500 Metern stutzig wurde, sagte mir ein Blick auf Google Maps, dass er mich gute vier Kilometer vorm Ziel rausgeschmissen hat! Weiterlatschen mit vollem Gepäck, Nachts um zwölf. Die Straßen waren voll mit Leuten, irgendeine Festivität war wohl im Gange. Als ich dann die Faxen dicke hatte, habe ich mir eine Fahrradrickscha genommen. Der Fahrer konnte aber nach der halben Strecke nicht mehr. Er war besoffen und hatte einfach keine Kraft mehr. Also: weiterlatschen mit vollem Gepäck.

Altstadt bei Tag

Fahrradrickscha

Am Ganges bin ich dann zu allem Überfluss nach rechts anstatt nach links gegangen und ein Inder verfolgte mich, um mich in "sein" Hotel zu locken. Da alle anderen scheinbar schon zu waren - es war jetzt gut und gerne ein Uhr morgens -, ging ich dann doch auf ihn ein. Mit ein bisschen Verhandlung, konnte ich einen einigermaßen akzeptablen Zimmerpreis raushauen. Meine erste Unterkunft ohne Badezimmer - Gemeinschaftsklo und -dusche. Kann man sich dran gewöhnen, aber eigenes fließend Wasser und eine eigene Schüssel oder Hocktoilette sind schon deutlich angenehmer.

Wegweiser
Am Mittwoch morgen wollte ich zum Geldautomaten auf der Hauptstraße, aber in den Gassen habe ich mich doch glatt so komisch verirrt, dass ich in der entgegengesetzten Richtung und am Ganges gelandet bin. Die Altstadt von Varanasi ist ein einziges Labyrinth aus schmalen Gassen. Keine ist breiter als drei Meter, manchmal auch kaum 1,50 breit. Alles ist total verwinkelt und voller Menschen, Kühe, Hunde, Katzen und Ziegen. Kufladen und Müll, Shops in buntem Wechsel. Die Wände sind mit handgemalten Wegweisern zu Hotels und Shops verziert, so dass man sich einigermaßen zurechtfinden kann. Aber das, wo ich im Endeffekt landete, war nicht ausgeschildert. Es war einer der beiden Plätze, an denen die Toten verbrannt werden.

Müllabfuhr?

am Burning Ghat

Ich setzte mich auf die Stufen bei einem Chai-Shop und schlürfte einen Milchtee während in Sichtweite eine Leiche nach der anderen in Tücher gehüllt angeschleppt wurde. Nach einem kurzen Bad am Ganges kamen sie dann auf einen kleinen Scheiterhaufen. Manchmal guckten unten noch zwei angekokelte Füße raus oder oben der Kopf. Der Tee war gut, ich bestellte noch einen.

Ein 20-jähriger aus Varanasi erzählte mir, wie der Ganges doch vor 10 Jahren noch ausgesehen hätte. Klares Wasser und ein deutlich höherer Wasserstand. Das waren wohl verklärte Kindheitserinnerungen... Aber es ist schon echt krass, was alles in diesem Fluss landet: Leichenasche und Leichenteile, die ganzen Tücher und Opfergaben für die Leichen und dazu noch komplett das Abwasser der Stadt und ordentlich Müll.

Varanasis kleinster Shop?


Nachdem ich da abgehauen bin, verfolgte mich ein Inder und sagte, dass es verboten wäre, die Verbrennungen zu fotografieren. Ich hatte  natürlich ein paar Bilder geschossen. Ich müsse ihm jetzt eine Spende in die Hand drücken. Mann, war der hartnäckig. Aber es war ja klar, dass diese "Spende" nur in seiner eigenen Tasche landen würden. Am Ende hat er mich angefaucht und ständig gesagt, dass ich doch gar kein Mensch sei und wurde richtig ätzend. Ich habe durchgehalten und ihn stehen lassen.

Sufis

Palak Paneer mit Chapati und Chai

gelangweilt

Aber er hat irgendwas bei mir hinterlassen, so dass ich doch noch eine richtige Spende geben wollte. Vielleicht gibt es da ja wirklich. Das habe ich auch getan und eine alte Frau segnete mich und sagte ein paar Worte in Hindi. Aber ob diese Aktion nun echt war oder nicht, ich werde es nie rausfinden. Aber es hat sich zumindest echt angefühlt - von daher ist das ok. Der Typ der mich zur Donation geführt hat, hat jedoch auch das blaue vom Himmel runtergelogen, um mir eine größere Spende aus dem Kreuz zu leiern. Wer weiß schon, was hier gegenüber den Touristen echt und was fake ist. Naja, der Eindruck zählt.

Ommmmmm Shanti Shanti

nebulös

Pisa lässt grüßen

gaaanz früh morgens

Über der Stadt standen zig kleine Drachen in der Luft. Die Kinder hatten heute frei und ließen sie steigen. Eine vielleicht hundert Meter lange Schnur und ein ultraleicht-Gestell reichen aus, auch bei dem leisesten Lüftchen so einen Kollegen in die Höhe zu befördern. Sie standen auf diesen Dächern der Häuser und hatten ihren Spaß damit. Die Dächer sind mehr wie 360°-Balkone, also Nutzfläche zum Schlafen, Wäsche aufhängen, leben und (haus)arbeiten. Gleich gegenüber des Puja-Hotels war sogar ein Taubenzüchter, dessen Federvieh da rumflatterte. Auch die Affen sind begeistert von diesen Dächern und hangeln sich über der Stadt durch die Lüfte. Bodenkontakt ist wohl nur den Zwei- bis Vierbeinern vorenthalten.

Ratti

von oben

"Der Ganges ist die Lebenslinie der indischen Kultur"

Zerenomie Business

Abends ging die oben genannte Festivität zuende und am soundso Ghat war eine unglaubliches Gedränge. Ghats sind diese Treppen, die zum Fluss runterführen. Gedränge ist das, mit die vielen Leute. Dieses mit-die-viele-Leute ist täglich an diesem Ghat, um 18:30 wird das Puja Ganga (Ganges blessing) abgehalten. Lichter werden auf dem Fluss ausgesetzt und Zeremonien durchgeführt. Doch an diesem Tag war dort die Hölle los. Zum Beispiel wurden riesige Shiva-Figuren in den Ganges geschmissen.

beim Puja Ganga

beim Puja Ganga

beim Puja Ganga


Am Freitag latschte ich mal die Ghats flussabwärts ab. Eine rote, große Brücke über den Ganges zog mich schon seit Ankunft magisch an. Eine einfache Auto- und Eisenbahnbrücke zwar, aber irgendwie musste ich da hin. Die Szenerie auf dem Weg dorthin bekam mehr und mehr einen dörflichen Touch, obwohl die Häuser immer noch groß waren. Es war irgendwie einfacher, weniger hektisch. Auch war mehr Platz, es war alles nicht so nah an den Ganges gebaut. Die Leute wuschen Ochsen im Fluss, die Kinder spielten im Sand. An der Brücke angekommen, ging ich einfach mal rüber und musste entdecken, dass die Straße noch endlos auf Brückenpfeilern weiterging. Ich drehte irgendwann wieder um, um mir den Markt anzusehen, den ich am Brückenanfang queren musste. Ein 50-jähriger Inder auf dem Fahrrad hielt an und wir begannen ein kurzes, sehr herzliches Gespräch. Interessiert am Gegenüber und völlig ungezwungen. Man kann diese Art von Gesprächen nicht mit unserem Fahrstuhl- oder Kantinensmalltalk vergleichen, obwohl auch nicht mehr dabei - zumindest auf der Tonspur - rüberkommt. Obwohl, es ist anders. Man spricht über Job und Familie, aber ... ach, Mist, erlebt es selbst. Man kennt sich nicht, man sieht sich niemals wieder, aber man erzählt offen, ohne sich darstellen zu wollen. Man sagt einfach gerade heraus, wie es ist. Vielleicht passt das ganz gut: man trägt keine Maske, gerade weil man sich nie wiedersieht. Als ich auf dem Rückweg über die Brücke in einem herangewunkenen Tuk-Tuk an ihm vorbei fuhr und grüßte, freute er sich riesig.

Öhne

Verkehr

Büffel

Kids
Der Markt war miefig und klein, einfach und effizient. Obst, Plastikgedöhns, Fische, Eisenwaren usw. Ein Barbier hatte einen Spiegel an eine Mauer gehängt und eine blauen Stuhl davorgestellt. Das und nicht mehr, war sein Friseurladen. Zurück zu meinen Ghat nahm ich eine Fahrradrikscha.

Friseurladen

Straßenszene

Abends habe ich noch von einer "German Bakery" gehört, die sehr gut sein sollte. Käse! Käsekuchen! Salami! Da musste ich hin.

Morgens, Samstag, suchte ich den Laden auf. Die an die Häuserwände gemalten Wegweiser wegweiserten mir weise den Weg. Das Essen war top. Auch wenn der Gouda aus der Plastikverpackung kam und die Salami eher aus großen Fettklumpen bestand - es war ein Hochgenuss. Eine ältere Deutsche aus Braunschweig erzählte von Nepal und ich biss ins Körnerbaguette. Ich gab ihr noch die Adresse von einem Physiotherapeuten aus Garbsen. Herr Münch, das waren Sie, schöne Grüße! :)

Sufi beim kiffen

vom Ganges aus

Zeremonienabfälle

Sonntag ging es dann nach Delhi. Scheiden von Varanasi tut weh. Delhi war, gelinde gesagt, einfach Scheiße. Ich hatte ja auch nur ein paar Stunden Zeit und habe wohl die falsche Ecke gewählt. Aber da muss ich nicht mehr hin. Und Montag früh ging dann der Flattermann nach Bali. Kapitel abgeschlossen. Indien adé.



Ich habe knapp 1800 Euro für zwei Monate ausgegeben, inklusive zwei Inlandsflüge für zusammen 220 Euro.

Indien, tja, Indien... Ein Fazit fällt schwer... Zwei Monate sind zu wenig, zwei Jahre sind vielleicht genug. Wer hat an der Uhr gedreht? Obwohl hier die Zeit in den meisten Ecken um so viel langsamer läuft als bei uns. So viel Armut und so viel Schönes. So viele Kühe und kultureller Reichtum. So viel Freundlichkeit und so viel Abstoßendes. Um nur eine Hassliebe zu entwickeln, bin ich aber schon viel zu abgehärtet. Deshalb, liebes Indien und liebe Inder: "Ich komm' wieder, keine Frage!"




Sonntag, 4. November 2012

Tag 100!

Sonntag, 4. November 2012

Heute ist der einhundertste Tag meiner Reise. Ich hatte mir eigentlich vorgenommen ein Resumé zu ziehen. Aber was kann ich noch anderes schreiben, als das was ich eh schon geschrieben habe? Mal sehen ...

Wir - mein Kumpel Roat ist seit Montag dabei, er hat drei Wochen - sind jetzt auf Gili Trawangan bei Lombok. Aber dazu später, in einem anderen Lomblog-Eintrach. Ich komme derzeit auch nicht groß dazu den Blog zu machen. Wohl ein Nebeneffekt, dass ich jetzt Reisebegleitung habe. Oder wie Siggi und Raner sagen würden: Raasebeglaatung.

Ich hatte mir ursprünglich vorgenommen, zumindest jeden Monat was neues zu lernen: Surfen, lokal Kochen, mich Weiterbilden zum Beispiel. Und was ist dabei rausgekommen? Ich kann jetzt neuerdings ein mageres bisschen auf den Fingern pfeifen und weiß, worauf es beim Schachspielen ankommt. Auch egal.

Als totaler Kopfmensch aufgewachsen, habe ich aber auch bemerkt, dass das nicht mehr ganz so ist. Planen, planen, planen und nur an die Zukunft denken, das geht mir zur Zeit total ab. Ein gutes Gefühl. Ich gehe zwar immer noch total scheuklappig durch die Gegend, aber vielleicht kriege ich ja auch noch raus, wie man mit offenen Augen rumläuft.

zwei Passanten

Außerdem habe ich gemerkt, dass es sowas wie eine Connection zu einem Ort gibt. Leute, Umgebung und so. Das stellt sich meist nach drei bis vier Tagen ein. Die Leute der näheren Umgebung kennen einen und zeigen mehr Interesse als für einen Durchgangstouristen, der kürzer bleibt. Die Reizüberflutung stellt sich ein, beziehungsweise ab und man bemerkt Dinge, die man sonst gerne mal übersieht - maaßtens Klaanichkaaten. Es ist zum Beispiel faszinierend, mit welch einfachen Mitteln hier Dinge zustande gebracht werden. Bei uns gibt es für alles ein Gerät, aber wer braucht schon wirklich eine Salatschleuder oder eine Knoblauchpresse? Ein Baugerüst aus Bambus und ein paar guten Knoten erfüllt den gleichen Zweck wie eins aus Stahlrohren, Schellen und Schrauben.

Natürlich ist der Reisealltag nicht mit einem Alltag in Schland vergleichbar. Man lebt so in den Tag hinein und wenn man mal was nicht unternimmt, was man sich so vorgenommen hatte, dann ist das eben so. Zeit spielt einfach keine Rolle. Alle Zwänge, sind nur noch die, die man sich selbst auferlegt. Man ist eben Chef der Sache. Und ein Plan ist nur ein Plan.

Was er heute kann besorgen,
Verschiebt der Touri gern auf morgen.
Und nach ein paar Tagen dann,
Macht er einen neuen Plan.

Eine Sache, die ich schon einigermaßen verinnerlicht hatte, wurde mir bewusst, als ich mit Wenzel am Om Beach über "Warten auf Godot" geredet habe. "Hast du irgendwas kapiert davon?" fragte ich. "Gibt es da was zu kapieren? Lass es einfach auf dich wirken!" war seine Antwort. Genau! Man muss nicht alles hinterfragen. Rituale, die Regeln beim Hahnenkampf, warum alle freundlich Grüßen und so weiter. Auch wenn man es sich erklären lässt, kriegt man trotzdem keinen Schimmer davon, was wirklich abläuft, was die Leute dazu treibt und was sie dabei fühlen. Unsere Kulturen sind so verschieden, dass man es nicht wirklich durchdringen kann. Jegliches Verhalten wird ab der Kindheit der Leute geprägt, und die hat man eben selbst nicht miterlebt. Lern jetzt französisch und versuch dann wirklich gute Prosa zu schreiben... Es ist nahezu unmöglich, es sei denn du hast Jahrzentelang vor Ort gelebt und bist auch noch ein Genie. Die Regeln der Sprache sind klar, aber das was sie ausmacht, steht in keinem Buch.

Das soll nicht heißen, dass man nicht fragen soll, was abgeht. Aber die Erwartung, etwas en detail zu verstehen, sollte man sich von vornherein abschminken. Und du bist du, und die Wirkung auf dich, das ist das was zählt.

So, ich habe fertig. Auf die nächsten 100!